„Der Motivationstrainer“ – Kapitalismus als Religion

Erstes Gebot: Du darfst nicht langweilen! Serviceexperte und Comedyredner Armin Nagel hält sich dran.

 

Gruß ans Universum

Voralpenland. Ein Hotelzimmer. Blauer Himmel und Blick auf die Berge.  Ein Mann im Business-Look betritt den Balkon, hebt die Hände zum Gebet und grüßt das Universum: 

“Ich lebe in Heiterkeit, Freude und Leichtigkeit. Ich lebe in Heiterkeit, Freude und Leichtigkeit.  Ich lebe in Heiterkeit, Freude und Leichtigkeit.”

Schnitt. Halbnah. Hand aufs Herz:  

“Ich liebe mich vollkommen und bedingungslos so wie ich bin. Ich liebe mich vollkommen und bedingungslos so wie ich bin. Ich liebe mich vollkommen und bedingungslos so wie ich bin. Und ich altere in Würde, Liebe und Freude. Und ich altere in Würde, Liebe und Freude. Und ich altere in Würde, Liebe und Freude.” 

Darauf ein Botoxlächeln. Nahaufnahme. Die Arme in Priester Pose:  

“Und es geht mir von Tag zu Tag und in jeder Hinsicht immer besser und besser und besser. Und es geht mir von Tag zu Tag und in jeder Hinsicht immer besser und besser und besser. Und es geht mir von Tag zu Tag und in jeder Hinsicht immer besser und besser und besser.”

 

Er ist wieder da!

Das kann man wohl sagen.  Seine “Academy” macht Rekordumsätze. Nach Aufstieg und Fall  Anfang der Nullerjahre jetzt die Wiederauferstehung: 
Boxend und klatschend steht er  im Backstage einer riesigen Halle und pusht sich zu “I got the power” für den nächsten Showdown. 

Im Saal die Moderatorin: 

“Er gilt bereits heute als absolute Legende in der Welt der Trainer. Im Jahr 2001 wollte er mit seinem Unternehmen an die Börse. Doch er beging ein paar verhängnisvolle Fehler und er verlor fast alles, was ein Mensch verlieren kann. Doch er gab nicht auf, denn im Jahr 2004 feierte er sein fulminantes Comeback, was in an die absolute Spitze der Trainer Europas brachte.”

Er ist wieder da!
Jürgen Höller, der Rocky und Guru der Glück- und Erfolglosen. Für die TV – Dokumentation “Der Motivationstrainer” wurde er von den Filmemachern Julian Amershi und Martin Rieck eineinhalb Jahre auf seiner Kaffeefahrt durch die Hallen und Seminarräume der Republik  begleitet. Entstanden ist ein spannender Einblick  in das gnadenlose Geschäft mit der Hoffnung und eine luzide Reflexion über Kapitalismus als Religion. Ein Film über Geld, Gier und Glaube.

 

Der Mario Barth der Trainerszene!

Jürgen Höller ist der Mario Barth der Speaker- und Trainer Szene:
bei „Kollegen“ unbeliebt, aber kommerziell erfolgreich.

Mario Barths Aufstieg begann mit dem Langenscheidt Ratgeber Frau-Deutsch / Deutsch-Frau. Das Büchlein verkaufte sich auf klassischem Wege schlecht, bis Barth den Vertrieb überredete, es an Tankstellen und Autobahnraststätten anzubieten. Eigentlich ein Nogo für den eher konservativen Langenscheidt-Verlag. Erst dort wurde es zum Millionenbestseller.

Auch Höller macht Millionen. Mit abseitiger Werbung auf Autobahntoiletten:
“Hose voll?”,  fragt er mit Tschakka-Pose  auf dem stillen Örtchen.
“Mein Leben gehört mir ! Und deins ?”

Darunter das Hörbuch mit Barcode zum Sonderpreis von 49,90. NullNull mein Ding, aber clever.

Auf der Bühne und in Interviews spricht Höller einfach und klar. Seine Zielgruppe versteht ihn. Er arbeitet auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner:  

“Ja! Ich bin ein Vereinfacher! In der Einfachheit liegt das Genie! Das ist meine Stärke, dass ich komplexe Themen herunterbrechen kann. Nur die einfachen Dinge bringen die Menschen in Bewegung!“

Während Höller im Film erzählt, er habe das Geschäftsmodell von Mc Donalds kopiert, gilt Barth als die Imbissbude der deutschen Comedy. Currywurst für alle.  Zum Beispiel im Berliner Olympiastadion.  Dorthin  hat Barth 2014 als CEO seines Gagimperiums 120.000 Anhänger gelockt. 120.000 Menschen! Witz-Weltrekord! Wenn einen das Feuilleton nicht liebt, müssen wenigstens die Zahlen stimmen.

Der Comedyautor Moritz Netenjakob formuliert es so:

“Was Mario Barth nun geschafft hat, ist, Bevölkerungsschichten in die Säle und Arenen zu locken, die sich normalerweise eher weniger für das gesprochene Wort interessieren. Mario Barth hat für diese Menschen die richtige sprachliche Ebene gefunden – wobei er sie wohl gar nicht gesucht hat. Er hat sie einfach. Er ist einer von ihnen. Einer aus dem Volk.”

Netenjakob weiter:

Mario Barth ist kein Opium, aber Kümmerling fürs Volk. Er erinnert mich auf der Bühne immer an amerikanische Fernseh-Prediger. Beide beschwören mit großer Geste und Charisma rituelle Formeln: die Fernsehprediger, dass Gott die Welt ordnet – Mario Barth, dass in den Handtaschen von Frauen das Chaos herrscht. Beides spendet Trost. Wenn man nur daran glaubt. (…) Hier ist mitten in Deutschland ein quasi religiöser Kult entstanden, dem man mit intellektuellen Mitteln nicht beikommt.”

 

Kapitalismus als Religion

Auch Höllers Arbeit ist getränkt mit religiöser Symbolik:
Auf die Frage, wer seine größten Vorbilder sind, nennt er in der Dokumentation an letzter und prominentester Stelle Jesus Christus. Auf dem screenshot, mit dem der Film beworben wird, sehen wir  Höller von hinten mit ausgebreiteten Armen gen Himmel blicken. Ähnliche Einstellungen wiederholen sich bei den Aufnahmen in  der Münchener Olympiahalle:
Jürgen Höller, der Heiland der tief gefallen (Pleite / Gefängniss) und auferstanden ist.  Ein leuchtendes Vorbild und Hoffnung für das Heer der Erfolglosen, das als Publikum nach Liebe schreit. Dann als Leitmotiv die mantrahaften Selbstbeschwörungen der Seminarteilnehmer, die wie Gebete wirken. Wie in einer Prozession wandern die Höller-Jünger zum Höhepunkt der Zusammenkunft, dem abendlichen Feuerlauf.

Bert Rebhandl schreibt in  seiner Rezension in der FAZ:

“Die ersatzreligiösen Aspekte sind offensichtlich. Früher beteten die Menschen zu Gott, nun versuchen sie, sich so zu positionieren, dass das Universum vor allem ihnen zuspricht – in Form von Ideen, Schwingungen oder am besten gleich direkt Geld.“

 

Saint Steve

Mit ihrer quasireligiösen, econotainigen Inszenierung befinden sich Höller und andere Life Coaches  im Trend. In ihrem Opus “Kapitalismus als Spektakel”  stellen der Journalist Markus Metz und der Filmkritiker Georg Seeßlen folgende These auf:  

“An die Stelle einer Oikodizee, eines verbindlichen Diskurses zur Vernünftigkeit, Nützlichkeit und letztendlich Meta- Ethik des Kapitalismus (aus der Gier der Vielen wird die Gerechtigkeit des Ganzen) tritt eine neue Verbindung von Ökonomie und Unterhaltung.”

Exemplarisch untersuchen sie die Red Bullisierung unserer Gesellschaft (Red Bull als Marke des Spektakels!) und das Werk  von Steve Jobs, dem größten Säulenheiligen des zeitgenössischen Kapitalismus.

“Im Leben stand er für eine besondere  Methode der Unternehmensführung und Marktmanipulation; nach dem Tod wurde er als “Ikone”, “Guru”, “Lichtgestalt”, “Michelangelo des 21.Jahrhunderts”, “Messias”, Befreier”  des digitalen Kapitalismus  gerühmt, um nur ein paar noch vergleichsweise nüchterne Nachrufe zu zitieren (…) Seine Jünger nannten ihn “iGod”. Das war nur halbironisch, hieß es in der Münchener Abendzeitung. Und: “Die Produktvorstellungen im kalifornischen Cupertino glichen Andachten, wenn nicht Technik-Messen.””

 

Passion

Auch der Kabarettist Timo Wopp entlarvt in seiner Arbeit die Prinzipien des Econotainment: die Vermischung von Begriffen und Narrativen der Unterhaltung  mit jenen der Ökonomie.
In seinem Erfolgsprogramm “Passion”, parodiert er als gnadenloser Erfolgscoach, die Motivationswelt und spielt mit religiöser Symbolik.  Der doppeldeutige Titel seiner Show verweist auf das englische “passion” ( Hingabe / Begeisterung) und die Passion Christi. Wer lachen will muss leiden. Die DVD Aufzeichnung fand nicht zufälligerweise an einem Karfreitag in den Berliner Wühlmäusen statt.

Kein Wunder, dass in Standard Speaker-und Trainerverträgen die Scientologyklausel Pflicht ist.

 

Nachdenken über Erfolg

Die Dokumentation kann anregen, sich mehr Gedanken über den Begriff “Erfolg” zu machen. Höller definiert Erfolg als finanziellen Erfolg. Folgerichtig kann es für einen wie ihn nur den Weg des ökonomischen Wachstums geben.  Weiter immer weiter. Expansion. Die Welt erobern: 

“Mich interessiert es nicht, ob ich ein Spitzen-Trainer bin. Ich will Spitzen-Verdiener sein !”

Sowohl Barth als auch Höller werden von der eigenen Branche und der Presse kritisch beäugt. Das tut weh.  Was tun?  Sich über Zahlen definieren. In immer größeren Stadien auftreten. Weltrekorde aufstellen:
Ihr könnt mich alle am Arsch lecken! Ich bin der mit den meistverkauften Tickets!

Neben dem finanziellem Erfolg gibt es aber noch ästhetischen Erfolg:
Finde ich eine überzeugende, außergewöhnliche Form für das was ich ausdrücke? Arbeite ich mit einzigartigen Inhalten? Halte ich mich ästhetisch in der Mitte auf, oder an den Rändern?  Dort wo es formal spannend wird ?

Und zuletzt der ethische Erfolg. Warum mache ich etwas? Was will ich bewirken? Habe ich nur Ziele oder auch ein Anliegen? Welches „Werk“ will ich am Ende meines Lebens hinterlassen? Was wächst? Mein Konto oder meine Seminarteilnehmer?

Man kann Jürgen Höller zu Gute halten, dass die von ihm gegründete Stiftung, mit der er den Bau von Schulen in der dritten Welt unterstützt, in der Dokumentation unerwähnt bleibt. Auch müssten erwachsene Menschen schlau genug  sein, nicht auf Kaffeefahrtentricks hereinzufallen. Dennoch ist der Film ein wichtiger Anstoss, das Geschäftsgebaren mancher Protagonisten der Weiterbildungsbranche kritisch zu hinterfragen. 

In seinem letzten Newsletter schreibt Hermann Scherer:

“Viele zeigen heute anderen wie sie finanziell frei, selbstbestimmt und erfüllt durchs Leben gehen. Dabei verwenden sie sich gerne selbst als Referenz, als Leuchtturm – und posten sich in einem luxuriösen Umfeld, im schlimmsten Fall in flotten Autos. Bei Vielen, die vorgeben finanziell frei zu sein, hege ich meine Zweifel daran, ob sie es auch wirklich sind. Und selbst wenn man sich ein solches Auto leisten kann, ist man dann nicht arm, wenn man es posten muss? Und die noch größere Armut liegt darin, etwas vorgeben zu müssen, was man gar nicht ist.”

Mehr Ehrlichkeit! Demut! Bescheidenheit!


  Zurück zur Übersicht