„Kafkas Figuren würden heute Telefonverträge abschliessen.“

Jo Lendle ist erfolgreicher Autor und Chef des Hanserverlages. Im aktuellen SZ Magazin dokumentiert die Süddeutsche Zeitung Lendles  kafkaesken Briefwechsel mit seinem Telefonanbieter, den er im Verlauf der letzten Wochen auf seinem facebook account veröffentlichte.

 

 

In seinem furiosen Buch über die heutige Arbeitswelt mit dem bewusst unspektakulären Titel „Leben im Büro“ schreibt Christoph Bartmann:

“ Kafkas „Prozess“ ist nicht nur ein Jahrhundertroman,(…) der Prozess ist auch ein Jahrhundertwort.(…)
Es bezeichnet mit steigender Tendenz alles, was auf Prozeduren basiert, also die Welt selbst, insofern in ihr Programme ablaufen. Überall ist jetzt die Rede von Prozessmodellen oder Modellprozessen im Dienste der Standardisierung von Verwaltung. Neben Managementprozessen (und Prozessmanagement), Businessprozessen und IT- Prozessen gibt es auch gruppendynamische Prozesse, stochastische Prozesse und tausend Prozesse mehr, vom „Lernprozess“ einmal ganz abgesehen. Es gibt Optimierungsprozesse und Prozessoptimierungen, bei denen darauf geachtet wird, dass die Prozesse „sauber aufgesetzt“ werden, wobei das „sauber Aufsetzen“ selbst ein Prozess ist und die Analyse der Sauberkeit des Aufsetzens wieder ein anderer. (…) Zum Wesen dieser Art Prozesse gehört ihre Unabschließbarkeit. (…) Wie Josef K. können wir niemals außerhalb des Prozesses stehen; und wie er sind wir umstellt von freundlichen Wächtern, die unseren Prozess begleiten, der wie sein Prozess die Eigenschaft hat, nicht enden zu wollen. Die neue Prozesslogik sieht als Höchststrafe vor, dass das Prozessende für ewig ausgesetzt wird.“
(Christoph Bartmann, Leben im Büro, S. 101f)

Kein Wunder also, dass Kündigen kein Kinderspiel ist, denn unser Gegenüber der unsichtbare, auf Freundlichkeit getrimmte Konzernangestellte „ist ein fliegender Holländer geworden, der lebenslang und rastlos durch die Welt der infiniten Prozesse irrt.“

Was tun? Als Wutkunde dem System ordentlich die Meinung geigen? Müsste ich den zu drehenden Hollywoodstreifen „Customer of Fury“ in der Hauptrolle besetzen, würde ich jemanden wie Klaus Kinski anrufen.  Der hätte das Zeug für den kurzen „Prozess“ gehabt:

 

 

Auch der New Yorker Filmemacher Casey Neistat gehört zur Riege der modernen Serviceguerilleros, die Ihre Dienstleistungswehwehchen in Buster Keaton Manier lösen:

 

 

Und auch ich gehe als Servicepionier meine Service-Probleme mit Konzernen auf unkonventionelle Weise an – hier zum Beispiel in einem ICE der deutschen Bahn:

 

 

Und da ich auch ein netter Kerl bin, habe ich in stillem Jo Lendle Gedenken meinen privaten Anrufbeantworter eben neu besprochen:

„Lieber Anrufer . Herzlich willkommen in der Hotline von Familie Nagel. Dein Anruf ist uns wichtig. Leider sind alle Familienmitglieder derzeit im Gespräch. Wir sind aber gleich für dich da, das nächste freie Familienmitglied ist für dich reserviert. Willst du mit Armin Nagel sprechen, dann drücke bitte die 1. Willst Du mit Imke, Jakob oder Till Nagel sprechen, dann drücke bitte die 2. Ein Hinweis in eigener Sache: der kleine Jakob schreibt demnächst seinen ersten Deutschtest. Deshalb werden alle Gespräche mit ihm zu Trainingszwecken aufgezeichnet.“

Verbraucher und Verbraucherinnen dieser Erde: wehrt euch mit Humor und Kreativität, denn Service – Kafka ist überall – selbst am Prager Flughafen:

 

 

Merken

Merken


  Zurück zur Übersicht